Er wußte, daß man statt Kunst Rock 'n' Roll machen kann oder
Schach spielen. Aber Martin Kippenberger machte Kunst - kleinteilig und großkotzig,
plump und verstiegen, meistens alles zugleich; aber vor allem in den bekannten
Genres Malerei, Skulptur, Zeichnung und Fotografie. Für einen Künstler,
der am Ende seines kurzen Lebens treffend beobachtete, daß ihn alle
kennen, nur sein Werk nicht, ist die Konventionalität des Werkes das
erstaunliche Resultat einer Retrospektive.
Kippenbergers Arbeit ist fern von Multimedia und benutzt in keiner
von mehreren hundert Arbeiten Video oder Sound. Angenommen, Kippenbergers Kunst
sei gegen Traditionen gerichtet, so ist sie dennoch diesen Traditionen
eingeschrieben. Das Areal, das er sich für seine Regelverletzung abgesteckt
hat, ist weitläufig, aber letztlich überschaubar. Wer also ins Genfer
Musée d'art moderne et contemporain (Mamco) kommt, um zu prüfen, ob
die Bilder an der Wand hängen, die Skulpturen auf dem Boden stehen und die
Zeichnungen ordentlich gerahmt sind, wird gewiß nicht enttäuscht.
Sein Prinzip war die Verballhornung. Lieber Bekanter!" ließ
er vor einigen Jahren auf einer selbstgemachten Karte verlauten, Kennst Du
schon den Unterschied zwischen Essen und Ibiza / -?-: in Ibiza kannst Du essen,
/ in Essen aber nicht ibizen".
Ich mußte also an André Thomkins denken, der so viele
Jahre in Essen wohnte, daß er haßte und, weil er nicht wegkonnte, Fressen"
nannte. In eine seiner Zeichnungen hatte er geschrieben: Das Paradox wird
lebend geboren." Kippenberger: Drei große Blockbuchstaben in
unterschiedlichen Holzmaterialien lauten ZYX" und bezeichnen, als
Relief, Das Ende des Alphabets". Vorausgesetzt, man liest von rechts
nach links. Eine Pyramide Colonia", kniehoch, ist rundum mit Rollen
ausgestattet und stellt (umgeworfen) auf der quadratischen Unterseite eine grobe
Farbfotografie aus, die in einer westdeutschen Innenstadt einen leeren
Schaukasten zeigt. Ein Hochhaus für Hühner" besteht aus
gestapelten Kastenformen, die nach oben hin kleiner werden; aber nur das
Erdgeschoß hat eine Öffnung.
Dies sind drei Beispiele aus einer großen Gruppe von Skulpturen,
die in einem langgestreckten Fabrikraum des Mamco dargeboten sind, auf
Steinboden und bei reichlich Seitenlicht. Angefangen mit einem aus
Industriepappe geschnittenen, riesigen Neptun-Zeichen, das schräg von der
Decke hängt, bis zum rückläufigen Alphabet ZYX" an der
gegenüberliegenden Stirnwand ist dies ein Skulpturenraum von
professionellem Zuschnitt, der allein über die Verteilung der Volumen, der
Tonwerte und der Dichte der Materialien als gültige museale Installation
gelten kann. Es ist nicht (wie bei der Aufbereitung von Beuys durch seinen gestürzten
Engel Heiner Bastian) die posthume Glättung. Kippenberger war dem Leiter
des Genfer Museums, Christian Bernard, schon lange verbunden und war zur Eröffnung
- bereits im Rollstuhl - noch dabei. Er starb am 7. März in Wien.
Die meisten der Skulpturen sind abgründige Varianten auf das in
den achtziger Jahren so kunstgängige Motiv der Kiste: ein schwarzer
Latexschrank, ein fahrbarer Ytong-Turm mit seitlicher Zierverputzung sowie
einige aufwendigere Behälter, die in vernageltem oder vitrinenartig geöffnetem
Zustand den Kunsttransport zitieren. Auf die lange Länge des Saals gesehen,
gibt es ein Gefälle von groß zu klein, von lyrisch zu brachial. Auf
der lyrischen Seite, zum Beispiel, eine Museumsvitrine, durch deren Glasetage
Halme gestreut sind, die in fotografischer Technik Birkenmotive wiedergeben. In
den Horizontalen liegen gewaltige Pillen in diversen Formen aus akkurat
geschliffenem Naturholz. Die Arbeit könnte man, dank ihrer Perfektion, mühelos
dem Werk eines (einer) anderen einverleiben.
Nicht aber, auf der anderen Seite des Saals, If you don't know
me by now - Modell Artschi Baby Puppi". In eine Sportkarre ist vertikal ein
Ding gelegt, das aussieht wie eine Axt aus der Bronzezeit. Bei näherem
Hinsehen hat das dünne Ende Schweinspfoten. Das andere Ende könnte
eine Schulter sein. Die Sportkarre mit dem bronzenen Tierbein ist mit der
Hinterachse hochgestellt auf einen primitiv geschreinerten Kasten, der rundum
bezogen ist mit einem Teppich. Über sein grau-weißliches
geometrisches Muster in Acryl erinnert er an die düstere Seite des Kleinbürgertums.
So tastet er sich vor, von der Designparodie zur Kunstparodie, von der Aura zur
Auralosigkeit, vom Labyrinthischen zum Planen. Plötzlich sehe ich darin die
Lebenswelt des Kindes aus dem Ruhrgebiet, das falsche Himmelblau und das echte
Puffrot, der Sperrmüll als Haushalt der Armen und der Haushalt des
Mittelstands als hochentzündlicher Industrieausstoß. Wenn es heißt:
Kunst oder Alltag, hat Kippenberger den Alltag gewählt. Werkstoff und
Abfall (anders als in gutgehenden Firmen oder Ateliers( sind aufs unheimlichste
miteinander verwoben. Viele Arbeiten bleiben ohne die Titel unverständlich
(Hühnerdisco"). Die Kunst erscheint als weites Meer, und die
Sprache ist Kippenbergers Dampfer. Die Retrospektive nennte Kippenberger Respektive".
Seinen Tod vorausahnend, datiert er sie 1997 bis 1976!" rückwärts
wie das Alphabet.
Nicht jedem hat Kippenbergers Insistieren im Klein-Klein
eingeleuchtet. Die krampfig-witzigen Baltelarbeiten der letzten Jahre
strotzen von einer harmlosen Intellektualiltät (sic!), die auch vor der
Ausstellung und Publikation kleinster Einfälle nicht zurückschreckt",
notiert Wolfgang Max Faust im Wolkenkratzer 1989. In einem Buch des Mamco, das
zwei ausführliche Interviews enthält (Kippenberger sans
peine/Kippenberger leichtgemacht"), schildert der Künstler seinen
Ansatz so: Immer ans Eingemachte ran, an Sachen, die so nahe liegen, daß
du gar nicht drauf kommst" - außer natürlich Kippenberger.
Er wurde 1953 in Dortmund geboren, 1956 zog die Familie nach Essen. Bei
uns", erinnert er sich, hingen Grafiken von der Fußleiste bis
zur Decke: Werke von Beckmann, Corinth, Heckel (....) , Marino Marini, Picasso
und viel Kitsch." Der Vater nahm die Kinder mit ins Folkwang Museum, wo sie
ihm das beste Bild" zeigen sollten, da kam man schnell zu Franz
Marcs Pferden", und der Opportunismus wurde mit einer Mark entlohnt.
Kippenbergers ganzes Werk stellt sich gegen eine Kunstproduktion, die auf den
Sonntag fixiert ist, die das Terrain jenseits von Arbeit und Ökonomie
bedeuten soll. Er wollte keine Kunst für Zahnärzte" machen;
hat aber die Zahnärzte unterschätzt.
Dabei kehrt Martin Kippenberger das Prinzip von Zeichnung und Gemälde
um: Die Zeichnungen - in Buntstift, Bleistift und Kugelschreiber ausschließlich
auf den Briefbögen besserer Hotels - sind detailbesessen bis penibel.
Selbstproträt als lila Weihnachtsmann mit (S/M-)Lederstiefeln auf dem
Papier des Four Seasons Hotels in Washington D.C. Seine geborgten Motive
passieren Revue: Nachtszenen aus dem film noir, groteske Männchen aus
Comics und Anzeigen. Seine bizarre Obsession: Eier und Straßenlaternen.
Die Gemälde lassen allenfalls zu Beginn ein Projekt ahnen.
In
einem aus 43 Einzeltafeln montierten Paneel Uno di voi un Tedesco in
Firenze" skizziert der 23jährige, gerade der Hamburger Kunstakademie
entlaufen, Lieblingssujets eines Touristen: Stadt- und Barszenen, Schrift- und
Symbolzitate, Postkarten und Alte Meister. Daß alle Szenen in Grau gemalt
sind, zeigt, wie Kippenberger sich noch an Gerhard Richter orientiert. Die
Motive sollen aussehen wie aus dem Album des eifrigen Fotoamateurs. Später
- damit eröffnet die Ausstellung in Genf in der vierten Etage, und von dort
geht man im Fabrikgebäude abwärts - kommen große farbige Motive
dazu, zum Beispiel eine hochformatige Straßenszene aus Düsseldorf,
die zwei linkische Figuren lebensgroß in einer Teleperspektive von hinten
zeigt. Ich glaube, sie suchen eine Bar.
Die grobe Aneignung der täuschenden" Malerei Richters
steht Kippenbergers Interesse am Klischee recht gut. Dann aber klinkt er sich
ein im neuen deutschen Mainstream von Ina Barfuss und Thomas Wachweger, die er
sammelt, einer eklektischen, symbolhaften Malerei mit expressivem Gestus;
retrospektiv ist diese Richtung motivisch beherrscht von Kippenbergers Freund
Albert Oehlen und in ihrer graphischen Abstraktion von New Yorker Malern, Caroll
Dunham und Jonathan Lasker, zugespitzt worden. Daß Kippenberger ohne den
Anflug einer Selbstkritik im Dutzend produziert, sieht man schon an den den
immer gleichen Formaten. Später kommen, als Variante, Reliefbilder aus
monochromem Latex dazu, die in ihrer enervierten Fadheit immerhin glaubhaft
sind.
Eine zweite Ausstellung ist geadelt durch Kippenbergers Mitarbeit vor
seinem Tod: Der Eiermann und seine Ausleger" im Museum Abteiberg in Mönchengladbach.
Eine der von mehreren überraschenden Arbeiten dort ist das Spiderman-Atelier",
ein als Bühnenraum errichtetes Malerstudio in einer engen Mansarde. Darin
sind Bilder plaziert, die als Kombination von Wort- und Farbfeldmalerei im Oevre
von Kippenberger neu sind. Spiegelbildlich wie Spielkarten bezeichnen sie die
Ingredienzen seines eiligen Zerfalls: Haschisch/Pot, Schlaftabletten/sleeping
pills, (etwas listiger) speed/deeps und (als Überraschung) red wine/and
you. Es ist die einzige zärtliche Regung, die ich im Werk dieses Mannes
entdecken konnte.
Auf der Genfer Einladungskarte erscheint er als kniende Figur mit
nacktem Oberkörper, mit ausgebreiteten Armen in den Himmel schauend wie ein
scheuer Jünger in Erwartung des Pfingstwunders. Die Fotografie stammt von
der Modefotografin Elfie Semotan, mit der er die letzten 368 Tage seines Lebens
verheiratet war. So, als Darsteller seiner selbst, wird Kippenberger in
Erinnerung bleiben. Sein starrer, ventilierender Körper, seine in
Selbstzerstörung sich feiernde Männlichkeit hatten wirklich Stil. Also
genau das, was er nicht ausstehen konnte bis auf den Tod.
©Ulf Erdmann Ziegler 1997