Wenn sich heute das Akademiepublikum versammelt und Jörn Merkert und
Rolf Szymanski zur Laudatio anheben, wird einer der Preisträger nicht
anwesend sein - Martin Kippenberger. Er starb, kaum 44jährig, am 7. März
in Wien. Kippenberger war zeit seines Lebens unbeschreiblich und wird es noch
eine Weile bleiben. Er zählt zu denen, die nicht feierlich in den Olymp
aufgenommen werden, weil sie der Nachwelt ohne Strahlemann-Lächeln die Zähne
zeigen.
Kippenbergers multiples Ich eines artist of irreverence"
(Roberta Smith, Nachruf in der New York Times") entzog sich immer
wieder dem Schubladendenken der Kunstgeschichte, deren Kapitel der 70er bis 90er
Jahre er maßgeblich mitbestimmt hat. Seine Wurzeln lagen irgendwo in der
Unschärferelation zwischen Fluxus und Neodada, Neoexpressionismus und
Konzeptkunst, kurz, im mixed style" der Postmoderne, ohne dabei der
Beliebigkeit zu verfallen. Kippenberger war eine Romanfigur mit sieben Leben wie
bei Hermann Hesse, eine tragische Figur, exzessiv und herausfordernd, im Anstößigen
anstoßend. In der Literatur der nihilistischen Radikalität
Rolf-Dieter Brinkmanns vergleichbar, war Kippenberger ausgestattet mit zynischer
Vernunft und schneidender Kompromißlosigkeit im Beobachten seiner Zeit.
Ein mephistophelischer Geist, der stets verneint, ein agent provocateur, der es
schaffte, Kurzschlüsse erhellender Erkenntnis im Gehirn zu erzeugen,
nachhaltig wie ein guter Treppenwitz.
1978 zieht Kippenberger von Hamburg nach Berlin und richtet mit seiner späteren
Galeristin Gisela Capitain Kippenbergers Büro" ein, eine
Ideenschmiede, Talentbörse und Ausstellungsinstanz der etwas anderen Art.
Er managt das S.O.36, gründet die Punk-Band Grugas", nimmt seine
erste Platte auf, Luxus", gibt die Zeitschrift sehr gut - very
good" heraus, feiert 1979 sich selbst mit dem ersten Katalog Vom
Eindruck zum Ausdruck - ¼ Jahrhundert Kippenberger", organisiert seine
erste Tournee und debütiert 1981 gleichzeitig in der NGBK, in der Petersen
Galerie, in der Paris Bar und im Café Einstein als Maler, Entertainer,
Performer unter dem Titel Durch die Pubertät zum Erfolg". 1982
zeigt er noch in einer leeren Neuköllner Mietwohnung, gefaked als Museum
für Kultur", sein Capri bei Nacht", aber da ist
Kippenberger schon nur noch zu Besuch, denn er lebt, wenig seßhaft,
inzwischen in Köln, behält aber einen Koffer in Berlin - in der Paris
Bar.
Bereits zu Beginn der 80er Jahre ist er an vorderster Front der
deutschen Ausstellungsszene, die sich um eine junge Künstler- und
Galerienszene in Hamburg, Berlin, Köln, München und Stuttgart neu
formiert: Ina Barfuss, Thomas Wachweger, Werner Büttner, Albert und Markus
Oehlen, Georg Herold sind dabei, alte Freunde aus Hamburger Zeiten um Sigmar
Polke, andere Strömuingen stoßen hinzu, vertreten durch die Mülheimer
Freiheit" und die Berliner Heftige Malerei". Später trennen
sich die Strömungen, Kollegen gehen eigene Wege, doch Kippenberger schwimmt
von nun an erfolgreich gegen den Strich. Er malt nach Zeitungs- und
Illustriertenbildern, nach eigenen Polaroids, er läßt kein Genre und
kein Thema beim Decouvrieren der alltäglichen Verdummung in einer Kultur
der Normalität aus. Schlag auf Schlag folgen Museums- und
Galerieausstellungen im In- und Ausland. Publikationen reihen sich aneinander,
als wollte sich ihr Autor einen Platz im Guinnes-Buch der Rekorde noch zu
Lebezeiten sichern.
Quantitativer Höhepunkt dürfte seine
1989 für die Schweizer Kunstzeitschrift Parkett" herausgegebene
Edition von 80 (!) Unikat-Heften bleiben. So atemlos geht es weiter bis zuletzt.
Die Realisierung seiner Beiträge für die diesjährige documenta
und für die Skulpturen Projekte Münster" hat Martin
Kippenberger nicht mehr erlebt. Dieser kreative Output muß ihn unendliche
Energien gekostet haben, sein Outing war ein schillerndes Rollenspiel: enfant
terrible und Lehrerfigur, Dilettant und Genie, Weltbürger und Bürgerschreck,
Moralist und Nihilist, vor allem aber ein unbequemer, kritischer, emphatischer
Zeitgenosse. Sein Motto war Wahrheit ist Arbeit", seine Strategie die
Strategie der Affirmation" (Bazon Brock), sein Ziel, die Wirklichkeit
bis zur Kenntlichkeit zu entstellen. Eine retrospektive Kippenberger-Schau in
Potsdam 1993, allein aus der Sammlung Grässlin bestückt, hieß
anspielungsreich Das 2. Sein".
Dahinter stand ein
Paradoxon, das Kippenberger, inzwischen auch Lehrer an der Frankfurter Städel-Schule,
bis zuletzt zu beschäftigen schien: einerseits an der Unsterblichkeit
seiner eigenen Botschaften mittels Globalisierung seiner Kunst zu arbeiten,
andererseits mittels Totalverschleiß die Kunst zum Verschwinden zu bringen
und den Künstler überflüssig zu machen. Dabei war Kunst für
ihn existentiell und sinnstiftend, aber als Produzent sah er sich am liebsten in
der Rolle des Vertreters im grauen Straßenanzug: hausieren gehen mit einer
Ware, die keiner braucht, vor verschlossenen Türen stehen, unauffällig
aufdringlich sein, ständig im Risiko, rausgeschmissen zu werden. Einer
von Euch, unter Euch, mit Euch".
Astrid Klein, Kollwitz-Preistägerin 1997, prägte in ganz
anderer Weise mit ihrer Kunst die rheinische Szene der 70er und 80er Jahre. Mit
ihren photokünstlerischen Arbeiten hat sie sich eine der exponiertesten
Positionen in der zeitgenössischen deutschen Kunst erobert. Astrid Klein
wurden zahlreiche Stipendien und Ehrungen zugesprochen. Seit 1986 mit einer
Gastprofessur an der HfbK in Hamburg tätig, erhielt Astrid Klein 1993 eine
Professur in Leipzig. Sie lebt und arbeitet in Köln. Astrid Klein und
Martin Kippenberger haben etwa soviel gemeinsam wie Mephisto und Mnemosyne, doch
galt auch sie als Vertreterin einer Kritischen Kunst nach 1968. Hatte sich die
kritische Kunst der 70er Jahre noch in radikaler Medienkritik ergangen, wurde in
der Rezeption Benjamins dem beliebig reproduzierbaren Medium Photographie
jegliche Objektivität und Wertschätzung abgesprochen, arbeiteten Künstler
wie Jürgen Klauke, Katharina Sieverding, Klaus Mettig, Rudolf Bonvie und
Astrid Klein seit Beginn der 80er Jahre an der Wiedergewinnung der Aura des
photographischen Bildes.
Astrid Klein knüpft an die
experimentellen photographischen Techniken der 20er Jahre an:
Sandwich-Verfahren, Dopelbelichtung, Photogramm, Rasterung, Photozeichnung und
-montage. In ihren wandfüllenden, suggestiven, schwarz-weißen
Photoarbeiten und -installationen montiert Astrid Klein Versatzstücke von
Medienphotos und andere gefundene Ausgangsmaterialien, Struktur- und
Textfragmente, Symbole und Zeichen zu eindringlichen Bildern. Dabei gelingt ihr
nicht nur eine symbolische Verdichtung, sondern die Erschließung neuer
Bedeutungskontexte. Schatten, Chiffren, Archetypen werden zu Spuren eines
kollektiven Gedächtnisses, das Erinnerungsarbeit einfordert. Eine ihrer
eindrucksvollsten frühen Arbeiten war Die Richter" (1981),
serielle Porträts des berüchtigten Nazi-Richters Freisler. Vor allem
aus den Werken der 80er Jahre sprechen Angst und Bedrohung einer Welt, die sich
Eingeebnet, eingeordnet, begradigt" (1984) erneut auf eine
Ausblendung der Geschichte und Gleichschaltung der Individuen zubewegt, die sich
im Geschlossenen System" (1983) befinden, als Staubfresser"
(1984) ihr zum Scheitern verurteiltes Leben fristen. Nie gewinnen sie konkrete
Gestalt, nur als Abdruck ihrer selbst, Raster, Schablone oder Lichtspur sind sie
zu erahnen wie die Spuren der Ausgelöschten in Hiroshima.
Astrid
Klein wirft ihren Blick hinter den Schatten" (Noemi Smolik). Sie
zeigt Chiffren der Existenz. Ihr Werk wirkt als Echolot der Erinnerung, indem es
Signale aus dem kollektiven Unbewußten heraufsendet, die sich zu einem
eindringlilchen Memento formieren.
Barbara Straka ist Leiterin des Hauses am Waldsee.
© Barbara Straka 1997