Manchmal verdient der Tod eine Ohrfeige: Wenn er sich angemeldet hat und
doch zu früh erscheint. Martin Kippenberger starb am Wochenende in Wien an
einer Krankheit, die er schon vor einiger Zeit auf einer seiner berühmten
Hotelzeichnungen skiziert hatte, wo Eier die Leberparenchymzelle behelligen. Sie
steht am Anfang seines letzten Buches Der Eiermann und seine Ausleger",
das zur gleichnamigen noch andauernden Ausstellung im Museum Abteiberg in Mönchengladbach
erschien.
Der Eiermann ist tot, seine Ausleger leben. Er war einer der letzten Künstler,
die sich Ohren und Hoden abschnitten, um der Kunst willen, in die es sich
aufopfernd durch einen immerfort betriebenen Akt der Selbstzerstörung
einzutreiben galt. Voyeure, Akricen und Hofschranzen wurden mit einbezogen, aber
letztlich verschont, weil er sie liebte - trotz zynischer Attacken, trotz
sarkastischer Vereinnahmuing. Es war ein letzter großer Hofstaat, der dem
Künstler huldigte, der angezogen und abgestoßen wurde durch
Schmeichelei und Verewigung im Familienalbum seiner Geburtstagsfeste, Eröffnungsfeiern
und Hochzeiten. Wer fotografiert an seinem Grab?
Heitere Anfänge
Der 1953 in
Dortmund als Martin Kippenberger geborene Künstler erinnerte sich ein Leben
lang an seine frühen und heiteren Versuche zu malen, tat dies so gekonnt
wie unbeholfen und wurde immer mit dem gefeiert, was einmal nicht ausgestellt
war: Ständige Verlegenheit der Betrachter, deren Zufriedenheit eher dem früher
Gesehenen galt und deren unbeholfene Reaktion auf das Neue dem Künstler oft
Anlaß war zum nächsten Werk.
Das Büro Kippenberger" - so nannte er Atelier und
Kontakadresse - war für viele Künstler Lehrstätte eines
Kunstprofessors avant la lettre".
In einer immerfort durch die Umgebung, durch die Umstände, durch die
Unkultur bewirkten Metamorphose sah man ihn in der Larve aller Kritisierten und
Verachteten - und diese Rolle verlangte einen künstlerischen Einsatz bis
zur Selbstaufgabe. Tief im Witz seines sich vermeintlich Ans-Kreuz-Nageln lag
eine Moral, die die Fremdwerdung dieses Begriffes in unserer Gesellschaft
kommentierte und ihr Verschwinden durch Appell an die Künstlerische
Verantwortung zu verhindern suchte.
Mittels blasphemischer Tautologien wurde er ein Hl. Sebastian, der sich die
auf ihn abgeschossenen Pfeile genüßlich herauszog, um sie sich an
anderer Stelle wieder einzusetzen.
Daß er in seine ambivalente künstlerische Tätigkeit
ein dauerndes Scheitern mit einkalkulierte und dessen Protokollieren titelgebend
in seine Werke aufnahm, zeigt ein Blick auf die Liste seiner Ausstellungen und
seiner Bildkommentare. Letzte Versuche, die Öffentlichkeit endlich
auf mich aufmerksam zu machen" oder Leiden warum, leiden wozu?"
oder The Happy-End of Kafkas Amerika".
Was andere stolz zu Lebzeiten Retrospektive hätten nennen lassen,
dem gab er den Titel "Respektive 1997 bis 1976 - eine große
Ausstellung, die er am 31. Januar 1997 in Genf im Rollstuhl eröffnete. Was
er anpackte, geriet zu einer in Form und Inhalt immer überraschenden
Paraphrasierung dessen, was Kultur dem Bourgeois oder dem Connaisseur bedeutet.
Dieses unverhohlen von ihm in einen Topf geworfene Gegensatzpaar war ihm
Stimulanz bis zum Tod auf der Leinwand. Selbst was heute gemalt wurde, mußte
morgen zerstört im Container landen - aber nicht unfotografiert,
unregistriert, unkommentiert, unpubliziert - wie eine große Inszenierung
im Kölner Kunstverein vorführte.
Martin K. war all das, was andere nur teilweise sein konnten. Es läßt
sich in einer (noch) ohne jede Wertung angelegten Kaskade überblicken:
Maler, Zeichner, Bildhauer, Musiker, Dichter, Organisator, Schriftsteller, Büchermacher,
Redner, Entertainer, Sammler, Don Juan.... Er mußte alles sein, um jede
seiner obsessiv betriebenen Tätigkeiten glaubwürdig zu machen und
alles besser zu gestalten als die anderen. Seine Werke waren als ironisch
inszenierte Manifestationen nun schon seit 20 Jahren zu sehen in musealen
Ausstellungen zwischen Köln und Paris, Tokio und New York, Madrid und
Rotterdam. Ikonoklastisch betrieb er die Vertreibung der Mittelmäßigkeit
mit dem Erfolg des Einsamen. mit seinem Tod tritt ein, was er sich immer gewünscht
hatte: Das Ende der Avantgarde".
Reiner Speck ist Kölner Mediziner,
Kunstsammler und Begründer der Marcel-Proust-Gesellschaft. Die Sammlung
Speck" wurde im vergangenen Herbst im Museum Ludwig ausgestellt, in Kürze
ist sie in Wien zu sehen. Zur Sammlung gehören auch Werke von Martin
Kippenberger.
Copyright: Dr. Reiner Speck 1997