Einen Nachruf auf den gerade vierundvierzigjährigen Martin Kippenberger
schreiben zu müssen, ist traurig und absurd. Gerade dieser Künstler,
der an die Tatsache einer Nachwelt" nie so recht glauben wollte und
doch alles daransetzte, ihr erhalten zu bleiben, hätte zweifellos dafür
die bessere Tonart und die schärferen Worte gefunden.
Manche seiner Interviews geben antizipierende Kostproben: Und
ich arbeite daran, daß die Leute sagen können: Kippenberger war
gute Laune." Eigentlich sollte 1997 das entscheidende Jahr dieses Künstlers
werden: große Ausstellungen in Mönchengladbach und Genf, Verleihung
des Käthe-Kollwitz-Preises, Teilnahme an der Skulpturenausstellung von Münster
und der zehnten Kasseler documenta. Seine Entwürfe für die
entsprechenden U-Bahn-Eingänge lagen in der Schublade. Kippenberger hatte
sie in verschiedenen Kontinenten bereits realisiert: als ironische Ausweise
globaler Reichweite und Unterwanderungsabsicht.
Daß er mit dem Trinken hätte aufhören müssen, wußte
Martin Kippenberger seit Jahren. Daß er es nicht tat, ist nur zu gut verständlich.
Der Alkohol war ihm Treibstoff zur Weltumrundung, zur omnipotenten
Gesellschaftsfähigkeit und alleinunterhaltenden Regentschaft. Für die
Einladungskarte zur Genfer Ausstellung hatte sich Kippenberger von seiner jüngst
angetrauten Frau Elfie Semotan in der Pose des Leidensmannes fotografiern lassen
- künstlerische Verwertung der eigenen Person bis zuletzt. Das Ende kam plötzlich:
In der Nacht zum Samstag erlag Martin Kippenberger in einem Wiener Krankenhaus
seinem Leberleiden.
Anfang der neunziger Jahre war Martin Kippenberger auf der Höhe
seiner Popularität. In einer Dozentur an der Frankfurter Städelschule
vermittelte er den Studenten, was seiner Meinung nach zum Künstlersein gehört:
unsentimentaler Duchblick, rückhaltlose Selbstdarstellung, scharfes
Hinsehen satt dumpfem Machen, antimetaphysisches Verhältnis zum Selbst und
zum Betrieb.
Obwohl er der Meinung war, daß man als Künstler
geboren" wird, nahm Kippenberger das Lehren ernst. Überhaupt
samelte er gern Gefolgschaft, um Ideen auszuhecken und zu testen, um auch die
fragwürdigste Kneipenpointe noch in sein Werk zu integrieren. Kein Zweifel,
Kippenberger verstand es, zu verdrängen und auszuteilen, konnte aber im
Gegenzug auch beschwichtigen oder umwerfend charmant sein.
Schon in den frühen Hamburger und Berliner Jahren hatte er Büros"
und subkulturelle Treffs organisiert, nahm den Kunstvertrieb und -erwerb in die
eigene Hand. Zusammen mit Albert Oehlen und Werner Büttner drehte er die
modische neoexpressive Ekstase durch den Wolf des forcierten Dilettantismus,
torpedierte den Glauben an die dumme Scheinwelt" des Malens und gab
das für seine Laufbahn entscheidende Motto aus: Peinlichkeit kennt
keine Grenzen".
Die Beerbung des Trivialitätenverwerters Sigmar Polke läßt
sich nicht leugnen. Scharf allerdings achtete Kippenberger - der auch gerne
malen ließ - darauf, daß der schlechte Geschmack nicht doch wieder
Dignität bekam. Er wollte kein Künstler für Zahnärzte"
werden. Seine Bilder, Skulpturen, Installationen, die er in letzter Zeit zu
immer neuen thematischen Inszenierungen zusammenfaßte, wahrten die Qualität
einer latenten Unverdaulichkeit. Verausgabung war für den schlagfertigen Künstler
die Normalität, auch wenn er einschränkte, sich doch nicht jeden
Tag ein Ohr abschneiden" zu können.
Der massenmedialen Weltaufbereitung mit ihrer Ex-und-hopp-Mentalität
zeigte sich Kippenberger nicht nur ebenbürtig, sondern weit überlegen.
Die in seine Werke einmontierten Parolen und bizarren Selbstbezichtigungen
ohrfeigten die Betrachter und torpedierten sich zugleich selbst: Politically
incorrect and proud of it". Im erkenntiskritischen Ruinieren von
Weihestimmung und in einer Bejahung des Verschleißtempos gegenwärtiger
Kunst als Beweis ihrer Selbstbestimmung und Vitalität lag Kippenbergers große
Leistung. Sie wird fehlen.
© RUDOLF SCHMITZ 1997