Nie kam er dem Kunstpublikum mit Samthandschuhen entgegen. Nun brauchen
auch seine Nachrufschreiber keine anzuziehen, den sarkastischen Künstler hätte
es ohnehin nur belustigt. Martin Kippenberger war immer für Klartext - in
der Kunst wie im Leben. Ohnehin hatte für ihn beides direkt miteinander zu
tun. Er hat versucht, den Kunstbegriff zu erweitern: Die Konzepte seiner
Arbeiten, die er aus Alltagsfundstücken montierte, mit Sprache und medialen
Bildern versah - oder höhnisch verballhornte - lassen das unschwer
erkennen. Möglicherweise rückte man diesen Hansdampf in sämtlichen
medialen Kunstgassen in seinen wenigen mitbestrittenen deutschen Ausstellungen
deswegen immer in die Nähe von Beuys und Polke.
Der in der internationalen Kunstszene für Provokation und Radau
gefürchtete und geliebte Maler, Objektkünstler, Animateur, Autor und
exzentrische Selbstdarsteller ist tot. Erst 44 Jahre alt, starb der in Dortmund
Gebürtige, in Essen Aufgewachsene und in Köln Tätige am Freitag
in einer Wiener Klinik an Leberkrebs. Sein exzessiver Lebenswandel war einschlägig
bekannt.: Er war ein Workaholic, er trank und rauchte über die Maßen.
Daß er mit alledem aber keine Probleme" habe, da schließlich
jedermann irgendwann und irgendwie abstürze, bekannte er in seinem Textbändchen
no problem" 1986. Seine Todsünden haben den Kunst-Eulenspiegel
seither noch elf Jahre umgetrieben.
Nun trifft die Nachricht mitten hinein in die Genfer
Kippenberger-Retrospektive und in seine große Ausstellung im Mönchengladbacher
Abteiberg-Museum, die in Deutschland zu seinem Vermächtnis wird.
Kippenberger war mehr im Ausland geschätzt denn im eigenen Land. Die
Akademie der Künste zu Berlin-Brandenburg wollte das ändern; er sollte
am kommenden Sonntag für sein Gesamtwerk den Käthe-Kollwitz-Preis
bekommen. Nun wird die Ehrung postum vollzogen, und postum auch wird sein
Beitrag auf der Kasseler documenta X sein. Dann soll die Kunstwelt sehen, was
Kenner schon längst sagten: Kippenberger gehört(e) zu den wichtigsten
Künstlern der achtziger und neunziger Jahre.
Die Deutschen hat er provoziert, in den USA machte er Furore. Dort
gefiel, wie er die Welt der Spießer, der großen wie der kleinen,
ironisch bloßlegte, bis die frechsten, lustigsten, schrägsten Bilder
herauskamen, die da zu sagen wagten, daß die Welt hohl, die Moral
verlogen, die Kunst saturiert und die Sprache bigott sei. Kippenberger war
nichts genierlich oder banal genug, um es nicht umzuwerten in bissige Bilder,
nichts stillos genug, um es nicht umzukrempeln mit seinem komischen, vor der
Kunstgeschichte respektlosen Kauderwelsch - von Pop-art über Sozialistischen
Realismus" bis Informel. Skrupellos schüttelte er Naives und
Intellektuelles, Gegenständliches und Abstraktes, Minimalistisches und
Pathetisches durcheinander.
Im Potsdamer Kunstspeicher stellte Kippenberger vor zweieinhalb Jahren
radikales Sendungsbewußtsein zur Schau. Er zeigte Plakate, auf denen er
jedermann nach seiner Lieblingsminderheit fragte. Oder er versah ein Bild, auf
dem Zerstörungen dargestellt waren, mit der Anmerkung: Was könnt
denn Ihr dafür?" Unter einem nächsten Motiv, das Neonazis zeigte,
kommentierte er hinterhältig: Ich kann beim besten Willen kein
Hakenkreuz erkennen!"
Die Mönchengladbacher Ausstellung Der Eiermann und seine
Ausleger", zugleich ironisch als Hommage an das Ei" konzipiert,
ist Kippenbergers Abrechnung mit dem blasierten Kunstbetrieb, der modernen
Werbe- und Informationsgesellschaft und der eigenen paradoxen, ja, schizophrenen
Situation: Eigentlich hielt er Ausstellungen für reichlich spießig,
starr und überflüssig. Weil er aber selbst tief im Kunstzirkus
drinsteckte, inszenierte er mit dieser letzten Ausstellung ein Hohngelächter
über sich selbst. Am Ende der Avantgarden" bleibt dem Künstler
nur noch das Sich bewegen, Weiterlaufen, Mithalten und Durchahlten".
Ein sarkastischer Radau.
Copyright: Ingeborg Ruthe 1997