Bei einer seiner letzten Ausstellungen in den Vereinigten Staaten
reagierte die Kritik zwar reserviert auf seine Werke, feierte ihn aber als das
letzte Enfant terrible der Kunstwelt. Mitunter war es umgekehrt. Seine Kunst der
feinen Anspielungen wurde goutiert, auf die rüden Provokationen reagiert
man enerviert.
Martin Kippenberger hat es schon immer gefallen,
Freund wie Feind zu provozieren, sich von niemandem einordnen zu lassen; den
Platz zwischen den Stühlen hatte er mit Bedacht gewählt. Ebensowenig
mochte er sich auf ein Medium festlegen: er war Maler und Bildhauer, Zeichner
und Fotograf, Performer und Musiker, Organisator und Lehrer, Herausgeber und
Autor. In allen diesen Bereichen hat Kippenberger eine Aktivität entfaltet,
die für etliche Künslerviten gereicht hätte. Kippenberger ist ein
Plural, konnte man auch vor drei Jahren im Potsdamer Kunstspeicher feststellen,
wo die Sammlung Grässlin ihre umfangreichen Bestände präsentierte.
Es gab nicht nur einen Martin Kippenberger, sondern viele.
Die Potsdamer Ausstellung zeigte einen Rückblick auf 25 Jahre
seines Schaffens. Das war für Berlin nicht mehr ganz neu, denn schon seine
erste Ausstellung Ende der siebziger Jahre in der Neuen Gesellschaft für
Bildende Kunst trug den selbstbewußten Titel Ein Vierteljahrhundert
Kippenberger", nur daß der Künstler damals selbst erst ein
Vierteljahrhunder alt war.
In Berlin begründete der gebürtige
Dortmunder auch seinen Ruf als Multitalent und agent provocateur einer
saturierten Kulturszene. Studiert hatte er an der Hamburger Hochschule für
Bildende Künste bei Franz Erhard Walther; aus dieser Zeit stammen die
Freundschaften mit Ina Barfuss und Thomas Wachweger, mit Werner Büttner und
Albert Oehlen. 1978 ging er nach Berlin, um mit Gisela Capitain Kippenbergers
Büro" zu gründen und die Geschäftsführung des legendären
Club S.O.36 zu übernehmen. Den Jungen Wilden" in der Stadt gab
er mit seinen bad paintings" Saures; Jeff Koons zollte er wiederum
seine Anerkennung, indem er sich selber mit dem Platz des Ersten unter den
Zweitklassigen" begnügte.
Diese Schnoddrigkeit und eine
gewisse Selbstherrlichkeit waren es auch, die Kippenbergers Arbeiten
auszeichneten. Dabei war er seinem erwartungshungrigen Publikum, das sich an
Kippenbergers frecher Mixtur aus Kitsch, Kunst und Kalauern ergötzte, immer
wieder ein Stückchen voraus. In seiner derzeit im Mönchengladbacher
Abteibergmuseum laufenden Ausstellung Der Eiermann und seine Ausleger"
sind wieder amüsant-ironische Bildergeschichten zu sehen, diesmal unter so
rätselhaften Titeln wie Deutscher Eierknaller" oder Eifrau,
die man nicht schubladieren darf". Aber die Schau zeigt auch die andere
Seite eines vor Wortwitzen, Bildideen, Stegreifaktionen übersprudelnden Künstlers:
das Spiderman-Kabinett". Es ist ein Blick in das Atelier des Künstlers
mit Abbildungen zum Thema Drogen und Alkohol an den Wänden - das letzte
Residuum, um neue Ideen zu entwickeln. Die Bezeichnung Spiderman"
nimmt Bezug auf Spinnen, die unter Drogen in der Lage sind, ganz andere Netze zu
spinnen.
Kippenberger war eben beides: der senisble Zeichner, dessen
Spontaneität des Strichs und Ausdrucksfähigkeit der Gestik die
Kuratoren begeisterte (seine Notizen auf Hotelbriefbogen waren in Berllin
zuletzt auf dem European Art Forum zu sehen), aber auch der Kunstrüpel,
dessen handgeschnitzter Lattengustl", ein gekreuzigter Frosch, nicht
im Herrgottswinkel eines Museums, sondern in der Paris-Bar an der Kantstraße
landete.
In der Tradition von Duchamp und Dada siedelnd, galt Kippenberger als
so etwas wie die Pop-Ikone der deutschen Nachkriegskunst. Getreu diesen
Vorbildern war auch die Moral Bestandteil seiner Kunst. Viele zynische
Kommentare etwa zu den von ihm abgezeichneten Misereorplakaten (Neger
haben einen Längeren. Stimmt nicht." oder Südländer
sind feuriger. Irrtum.") waren nicht nur auf Provokation angelegt, sondern
auch ein Versuch, politische Inhalte in den Kunstbetrieb einzuschleusen.
Häufig wurde übersehen, wie ernst es dem Klassenclown der Kunstszene
mit diesen Botschaften war. Mit Martin Kippenberger verliert diese Szene in
vielerlei Hinsicht eine Instanz. Der Künstler ist am Freitag abend im Alter
von 44 Jahren in einem Wiener Krankenhaus verstorben.
Copyright: Nicola Kuhn 1997