Das Prinzip der Verstrickung:
Martin Kippenberger und seine Rezeptionen
Beim Tod eines Bildenden Künstlers wird selten als erstes die
Frage gestellt, ob dieser ein guter Mensch gewesen sei. Wenn es überhaupt
Anlässe gab, diese Frage interessant zu finden, überließ man
ihre Beantwortung in der Regel den (Jahre, Jahrzehnte) später
nachgereichten Biopix, die in der Regel nur zwischen Opfer (Basquiat, Van Gogh),
Täter (Picasso) und Warhol (beides) unterscheiden können. Hat irgend
jemand gefragt, ob Buthe, De Kooning, Flanagan, Gonzalez Torres, Wilke, um nur
die unlängst verstorbenen KünstlerInnen zu nennen, die mir zuerst
einfallen, gute Menschen waren?
Doch ist eine Konjunktur zu beobachten
aus der zuweilen naheliegenden, zuweilen mit allen Mitteln forcierten
Konfrontationen wie Konvergenzen von Feldern spezifische Kicks zu beziehen. So
wird das Verhältnis von Politik zu Kunst - sei es das Politisch-Sein der
Kunst (das Verhältnis der Arbeit selbst zu ihrer Politizität oder die
Grenzen ihrer Interpretierbarkeit z.B.), sei es jene Politik, die innerhalb des
sozialen und ökonomischen Feldes der Kunst gemacht wird (wer stellt wen
wann und warum [nicht] aus z.B.), sei es die Politik, die mit Kunst im Rahmen
eines aktivistischen Kunstverständnis (von Symposien bis Blockaden) oder
als Mainstream-Politik (das zu Blockierende veranstalten, Museen bauen,
Holocaust-Denkmal-Debatte) arbeitet - jetzt immer öfter auch in bezug zu
einer, selten auch ausgesprochen so genannten ethischen Seite diskutiert. Den
Beteiligten wird etwa ein immer schon egoistisches Interesse (Geld oder das in
letzter Zeit so viel bemühte kulturelle Kapital" anzuhäufen,
Politik zu machen") unterstellt, oder ein Handeln in einem bestimmten
Zusammenhang (Mainstream-Politik) wird durch die moralische Diskreditiertheit
der betreffenden Institutionen als ethisch abzulehnendes ausgemacht.
Beide
Beispiele (und einige ähnlich gelagerte andere) sind als heuristisch
notwendige Grund- und Zwischenannahmen und -befunde im Prozedere einer
materialistischen und soziologischen Kunstbetrachtung durchaus verständlich.
Aber so wie auch diese zuletzt immer mehr dazu tendierte, nichtsoziologische
Aspekte der Kunstproduktion gar nicht mehr zu berücksichtigen, verschenken
viele KritikerInnen ihren Materialismus an ein unterkomplexes Modell der Rolle
des Ethischen innerhalb des Zusammenhangs Politik und Kunst: an das der persönlichen
Schuld und Verantwortung.
Gerade bei Martin Kippenberger jedenfalls wußte
es der Nachruf der taz dann aber ganz genau: Er war kein guter Mensch",
lautete das eine von zwei zentralen, dem Verstorbenen hinterhergerufenen
Urteilen. Woher kommt diese zu eindeutigen Urteilen berechtigende, zugemutete
Zuständigkeit für richtiges Leben und gutes Verhalten, die man keinem
Rückriem, Richter oder Rauschenberg je in die Nekrologe hineinzuweben sich
trauen wird? Ist die Verunsicherung darüber, wofür Künstler und Künstlerinnen
verläßlich und positiv zuständig sind, und die Sicherheit der
letzten Jahre, daß das mit der politischen Zuständigkeit zumindest
schwieriger ist als manche dachten, dahin umgeschlagen, daß man nun dafür
mit Sicherheit zu wissen glaubt, daß der Rezensent ausgerechnet im Bereich
der Moral, des persönlichen Verhaltens sein glasklares Resümee unter
ein Leben setzen muß? Nein, es ist wohl eher eine Besonderheit der
Kippenberger-Rezeption, mit der wir es hier zu tun haben. Für diese
Besonderheit charakteristisch sind Unverbundenheiten, Diskontinuitäten und
Unübersetzbarkeiten einerseits zwischen den Welten", die
Kippenberger rezipierten, also meinetwegen Feuilleton und Avantgarde-Kunst, Köln
und Berlin, diversen Szenen, die vorher und nachher nicht viel gemeinsam hatten,
außer Kippenberger zu kennen und in irgendeiner diffusen Weise an ihm
interessiert zu sein. Zudem wiederholen sich diese Verhältnisse zwischen
Gegenstand und Bearbeitung, zwischen den Ebenen, in denen unterschiedlich
situierte und kontextualisierte Aussagen und Formalisierungen auch gerade dann
nur lesbar und verständlich sind, wenn eines ihrer ebenso offensichtlichen
Ziele, das Relativieren oder vielleicht sogar Aufheben der Grenzen zwischen
diesen Ebenen ist.
Daß Kippenbergers Arbeit ständig durch
bloßes Anschneiden oder Benennen von Zusammenhängen Wespennester öffnet
und Fallen stellt, in die KritikerInnen genauso tappen wie zuweilen er selbst,
und daß Eigenschaften seiner Gegenstände als Eigenschaften der
Diskurse über ihn wieder auftauchen, gehört zu den allfälligen
Subtexten der Verstrickung, die seine Rezeption - nicht ohne sein Zutun - geprägt
haben. Diese sorgten für spezifisch engmaschige Verbindung zwischen Ebenen
wie Werk", Soziales", Gerücht", Interviewstatement",
Katalogstatement" etc., was aber nicht heißt, daß man sie
nicht mehr unterscheiden können sollte. Der Zuwachs an Diversität und
Heterogenität und deren Genuß konnte nur funktionieren, wenn es bei
der Emulsion blieb und nicht zur Verbindung kam. Vielleicht galt dies auch im
Sozialen: Wie attraktiv seine Veranstaltungen für Menschen
unterschiedlichster politischer und ästhetischer Provenienz waren, läßt
sich daran ableiten, wie viele sich selbst in den Jahren noch auf Gruppenfotos
(als Einladungskarte) oder für Fotohefte der Lord Jim Loge nebeneinander
zeigen, als die Spannkraft des von Kippenberger geschaffenen Zusammenhangs schon
etwas erlahmt war.
Viele, die im nun vor ihnen liegenden Leben wohl
kaum noch viel mehr miteinander zu tun haben werden, bezogen stabilisierende und
anregende Momente aus diesen Treffen: die keine Lektüre voraussetzende
Teilnahme an avanciertem Austausch zu ästhetischen Fragen. Allerdings nicht
ohne mitunter einen sozialen Preis zu zahlen. Dieses soziale Phänomen
verwirrte die Rezeption von offizieller Feuilleton- (Frankfurter Allgemeine
Zeitung, Frankfurter Rundschau, Die Woche) und weitgehend auch linker
Kunstkritik (taz, Konkret etc.), die beide so schon genügend
Schwierigkeiten mit zeitgenössischer Kunst haben (von ausschließlich
mit einer durch keinerlei Nebenstrategien gestörten, rein inhaltlich
konsumierbaren und der natürlichen" journalistischen Hermeneutik
entgegenkommenden Sorte von Fotokunst einmal abgesehen).
Hier bot die
Kunst", die ja in einer literarisch-poetischen Tradition, die Kippenberger
auch nicht gerade von sich wegschob, gern mit ihren sozialen Symptomen und
Begleitumständen identifiziert wird, sozusagen freiwillig einen
Bezugsrahmen für Interpretationen, der in der greifbaren, großstädtischen
Wirklichkeit von Kneipen und Restaurants äquivalent zu Dietl-Filmen im
Fernsehen zu funktionieren schien. Was lag näher als dieses Angebot
anzunehmen? Doch auf der anderen Seite lebt gerade der voyeuristische Genuß
am sozialen Exzeß der Künstler von der Annahme, daß er
eigentlich verborgen sei und eine andere Seite, die Kunst selbst, als die
offizielle gelten soll. Der Journalist, der eingeweiht wird, ist besonders
entsetzt, wenn er herausfindet, daß er in nichts Geheimes eingeweiht
wurde; und weder die Kneipe über die Kunst noch umgekehrt etwas Verborgenes
herauszufinden helfen. Bei Rückriem und Klauke konnte man dagegen weder vom
Kneipenverhalten auf die Kunst noch umgekehrt schließen. Daß weder
diese Zweiteilung noch ein emphatisches Leben-ist-Kunst-Bekenntnis - wie etwa
bei Beuys - bei dem mit Kippenberger assoziierten Zusammenhang herstellbar war,
wurde ihm dann wieder als Unseriosität übel genommen. Er hat in hohem
Maße die sozialen Bedingungen, die unmittelbare Umgebung, den Kunstmarkt,
die Kunstgeschichte und andere Metathemen zu Gegenständen von Kunst
gemacht, aber er hat das Spezifische der jeweiligen Ebenen in seinen Arbeiten
berücksichtigt.
Allerdings waren es auch nicht einfach nur die zwei, Kunst und Alltag
(Leben), sondern Mischformen und unterschiedliche Eigentlichkeits- und
Wichtigkeitsgrade, die je neu zu bestimmen ihm ein Anliegen war. Daß es
der auratische Kunstdiskurs jedoch nicht sein sollte, hat er häufiger
betont. Diese je wieder neu zu treffende Bestimmung von Status und Rahmen wurde
aber schließlich nur noch als Ununterscheidbarkeit dieser Ebenen
wahrgenommen. Der Schatten dieser Nichtunterscheidung fiel zuweilen auf sein
ganzes Unternehmen. Möglicherweise zeigte es auch eine Schwäche an,
einen zu optimistischen Glauben daran, in Bezirken zwischen Leben und Kunst
voluntaristisch immer wieder neue Bedeutungsrahmen stiften und die Macht der
vorhandenen und ja auf gesellschaftliche Macht gestützten Rahmen ignorieren
zu können. Wenn ich sage, dies ist kein Bild in einem Museum, sondern ein
Interview-im-Radio-als-Parodie-auf-Process-Art-als-Bestandteil-einer
Gruppenausstellung-am-anderen-Ende-der-Welt und vielleicht auch noch eine
Parodie auf solche willkürlich gesetzten Rahmen, kann ich nicht verhindern,
daß die Leute in erster Linie doch den Bildinhalt lesen" und
sie alle möglichen mächtigen gesellschaftlichen Rahmen dazu auch
ermutigen. Was nicht heißt, daß man daran nicht weiterarbeiten kann
und muß.
Noch wichtiger aber scheint für die Kritik zu
sein, auf welcher Seite einer Front einer steht, die diese selbst zwar nur
unbeteiligt beobachtet, aber gerade deswegen klare Verhältnisse von den
beobachteten Kombattanten verlangt. Bezeichnend für das Doppelmoralische an
gerade in solchen Fragen moralisch argumentierenden Vorwürfen war die
paradoxe Argumentation, die Kippenberger einerseits zynisches Heranschmeißen
an Kunstmarkt und Institutionen vorwarf und andererseits, daß kein anständiges
Museum seine Arbeiten zeigen und er die Galerien mit seiner unverkäuflichen
Überproduktion zustopfen würde. Noch weiter verbreitet aber ist der
Konsens, daß er eigentlich sowieso eher ein Spaßmacher, Jongleur,
großes Kind, ein Unechter, Heizefeitz, Parodist, Sarkastiker, Zyniker,
Scharlatan und wie die freundlichen oder unfreundlichen Zuschreibungen auch
immer lauten mögen, gewesen sei, der seine künstlerischen Projekte nur
nebenher verfolgt hätte. Dem zu abwechslungsreichen und zu unterhaltsamen
Programm wurde eben deswegen unterstellt, daß seine sehr diversen und
formal, materialbezüglich, inhaltlich etc. heterogenen Arbeiten nicht
wirklich heterogene und diverse Absichten auf verschiedenen Ebenen und in
unterschiedlichen Rahmen, sondern vielmehr kein Programm verfolgt hätten.
Dieses aber sei im wesentlichen lustig (oder zynisch) gewesen.
Diese
Einschätzung, die auch in seinem näheren Umkreis viele geteilt haben dürften,
war das Gerücht, das über diesen ansonsten schwierigen - im Sinne von:
arbeitsaufwendigen, fordernden, komplexen etc. - Künstler an die
verschiedensten publizistischen und Multiplikator-Ohren gedrungen ist, dessen nähere
Bestimmung dann anschließend je nachdem als sensationell-schrill, ethisch-
oder politisch-abstoßend oder tabubrecherisch-provokativ nachgereicht
werden konnte. Nun ist dieses Mißverständnis wie schon die anderen
auch durchaus verständlich: Zum einen war der soziale Trubel ja ein
massives Phänomen, und solche registriert das Sensorium des
Tagesjournalismus nunmal als erstes - und daß es keinen Kunstjournalismus
gab, der das Phänomen" anderweitig aufgriff und
weiterentwickelte, kann man denen, die nur den sozialen Lärm hörten,
nicht zum Vorwurf machen. Zum anderen griff Kippenberger dieses Phänomen
und seine Resonanz dankbar als Material auf und beteiligte sich selbst an der
Produktion seines Image als der Mann, der in Brasilien eine Martin-Bormann-Tankstelle"
eröffnet, über das Image des Architekten einer Diskothek für
echte Hühner als maßstabgetreuer Nachbau des Kölner
Galerienhauses von Oswald Matthias Ungers oder als der Fahrer des
Eiermann-Mobils, mit dem er zuletzt durch das Burgenland kurvte. Er konnte das
in der selbstbewußten Sicherheit tun, daß er als Künstler gut
genug war, um Eindimensionalitäten nicht aufkommen zu lassen.
Im
Gegenteil, die reduktionistische, aber nicht ganz zufällige Spaßprogramm-Rezeption
war für eine weitere Dimension gut: Ahnungslose, groteske und billige
Reaktionen waren doch durchaus von demselben Stoff - unmögliche Strukturen,
Sequenzen, die nur das kontingenteste aller Leben selbst schreiben kann -, den
er eh ständig suchte und verarbeitete. Resonanz in Haarwasch-Werbung,
komische Kritiken im Kölner Stadt-Anzeiger und der empörte Brief eines
Zeugen eines, wohl auch tatsächlich unerträglichen
Kippenberger-Auftritts wurden sofort weiterverarbeitet und als Plakate, Inserts
und Katalogtexte einbezogen. Erst in den letzten Jahren kümmerte sich
Kippenberger in Interviews und der Auswahl der Gesprächspartner mehr um
eine Rezeption jenseits der Spaßnummer. Zu diesem Zeitpunkt war zwar die
80er-Jahre-Rezeption nicht mehr zu korrigieren, aber er versuchte eine
Gegenrezeption am Leben zu erhalten und zu stärken, wo es ging. Die Einfälle
waren auch nicht mehr so leicht nur brillant, komisch oder abstoßend zu
finden: Das weltweite U-Bahn-System, die Tische mit Dialogen im Rotterdamer
Museum, die die Schlußszene von Kafkas Amerika" illustrieren
sollten, der Kunstverein auf einer ägäischen Insel - das waren Einfälle,
die sich nur umständlich erzählen ließen, den Vor-Ort-Besuch
verlangten und in ihrer Langfristigkeit und Monumentalität wie eine
melancholische Anknüpfung an - ebenso wie natürlich ein Amüsement
über - all die riesigen, gleichartigen, insistierenden
Lebenswerk-Konstruktionen von Christo bis Stockhausen darstellten.
Die
Ergebnisse dieser Erweiterungen, Neuorientierungen und Korrekturen werden in der
Rezeption aber wohl erst jetzt, nach seinem Tod, seinen großen
Ausstellungen in Mönchengladbach und Genf sowie diversen kleineren, etwa in
Berlin und Zürich, sichtbar werden. Die intensivste Reaktion auf seine
Arbeit spendierte das Tageszeitungsfeuilleton jedenfalls weder seinen absoluten
Highlights (die Peter"/Petra"-Serie um 87/88 z.B.) noch
seinen nach konventionellen Kriterien wichtigen, großen Ausstellungen im
Ausland (San Francisco, Rotterdam), sondern in seltsamer Einigkeit ausgerechnet
einer aus lokalen kulturpolitischen Gründen umstrittenen Ausstellung in
Potsdam vor drei Jahren. Plötzlich nahm nicht nur die bürgerliche
Presse wie eh und je stereotyp Provokationen" wahr, die sie nun aber
lahm und nicht mehr provozierend fand (weswegen die Artikel dann auch größer
und länger ausfielen), sondern auch die linke und Stadtzeitschriften-Szene
war jetzt auf die vermeintlich provokanten Inhalte - oft von immer wieder erwähnten
Arbeiten der frühen 80er, die gerne in den Artikeln auch umdatiert wurden -
eingestiegen, um nun aber, wo man ja mittlerweile wußte, daß der
Tabubruch auch und gerade ein potentiell rechtes Medienwerkzeug geworden war, in
Kippenberger den immer schon schlechten Menschen zu entdecken.
Daß
Kippenberger tatsächlich, milde gesprochen, nicht gerade ein Antisexist war
und ebenso oft wie er große Gesellschaften mit großen Witzen und
Improvisationen, die so freundlich wie bösartig, aber oft treffend waren,
unterhalten konnte, dieselben Gesellschaften, indem er sie zwang, zwei, drei
Stunden später alles noch mal anzuhören, auch peinigen und beleidigen
konnte, half den von einem einzigen, einheitlichen, Leben und Kunst umfassenden
Projekt ausgehenden, darüber hinaus überhaupt keinen Unterschied
zwischen dem Status von Kunst- und Alltagsäußerungen erkennenden und
auch dann nicht würdigenden Schnitzereien dieses Kippenberger-Bildes eine
gewisse Plausibilität und Evidenz vor allem für diejenigen
herzustellen, die von Ferne, und keineswegs immer aus antisexistischen Gründen,
sondern oft eher aufgrund altspießiger Vorstellungen von Grenzen des guten
Geschmacks immer schon angewidert oder irritiert gewesen waren. Seine
Stand-Up-Komik war zwar vor allem grotesk, ohne willkürlich zu sein, sie
folgte den Regeln seines verschliffenen Slang und der Poesie, die dessen
abgefeilte Konsonanten auch ohne größere Gestaltungsbemühung zur
Verfügung zu stellen schienen.
Die Tragik aber der Ersetzung
aller Regeln durch idiosynkratische Regellosigkeit besteht nunmal in der
Freiheit, die sie sich nimmt, auch den allerblödesten und manchmal fürchterlichsten
Regeln dann doch wieder zu folgen: eben den ganz tief sitzenden Konventionen,
die sie als solche nicht erkennt oder die als blinder Fleck Voraussetzung der
Befreiung sind, die eben immer nur Teilbefreiungen sind. Daß es ein im
Ganzen eher harmloses Prinzip Kippenbergers war, sich das jeweils
offensichtlichste soziale Merkmal einer eintretenden Person zum Anlaß
seiner jeweiligen Reaktionen zu machen, mag manche rassistische oder anderweitig
beleidigende Zumutung vielleicht ein wenig mildernd erklären; weniger
leicht geht das sicher bei seinem Insistieren und Arrangieren dessen, was nicht
nur er, sondern auch weite Teile des Inner Circle mit Begeisterung die Hierarchie"
nannten. Auf diesbezügliche Einwände hörte man oft, daß es
eine Hierarchie doch überall gäbe und es besser (ehrlicher")
wäre, wenn sie ausgesprochen und offen verhandelt würde. Daß
aber das, was eh schon vorherrscht, von jeder Bestätigung, auch der
gebrochenen nur noch stärker gemacht wird, war in den frühen 80ern
Jahren noch wenig bekannt. Viele merkten es aber auch später nicht oder
wollten es nicht merken. Kippenberger hat auf anderen, darunter künstlerischen
Ebenen aber - und man kann oft sagen als allererster - erfolgreich darstellen können,
was diesem sozialen Fehler" zugrunde lag.
Wann immer ein
konventioneller Rahmen im Namen eines Anarchismus gesprengt wird, übernimmt
eine noch tiefere, unreflektierte Konvention zum Teil die Regelung des nun
Ungeregelten. Genau dieses Kernproblem, daß die Anarchie am Ende nur immer
die Regeln reproduziert, die ihre Vertreter soweit naturalisiert hatten, daß
sie sie eben nicht als Regeln haben erkennen können, war in der Kunst sehr
oft genau Kippenbergers Thema: die konventionellen Elemente des Tabubruchs, die
spießigen Seiten der letzten Neo-Avantgarden. In den schon erwähnten
Ausstellungen der Peter"/Petra"-Serie in den letzten der
80er Jahre war es zum Beispiel darum gegangen, in fast sequentiell an historisch
oder zeitgenössisch mit theoretischem und publizistischem Avantgarde-Brio
bepackten Objekten immer neue Lektüreebenen und -vorschläge einander
folgen zu lassen. Berühmte Beispiele, wie das zum Tisch gewordene
monochrom-graue Richter-Original, das auf vielen, argumentative, ebenso wie
anekdotische Strukturen stützenden Wegen von den großen Behauptungen
der Moderne und der Postmoderne weg und wieder zurückmäandert, haben
den Nachteil, nicht mit zum Ausdruck zu bringen, daß man sie unter circa
dreißig Objekten ihresgleichen suchen mußte. Sie traten nicht
wichtig auf und sperrten sich auch dagegen, als bloß durch die Birne
gerauschte Nebenjokes einer Spaßüberproduktion verstanden zu werden.
Das heißt nicht, daß es keine Leichtigkeit gab, aber
niemals den idiotische Glauben, daß eine solche Eigenschaft, Idee allein
der Rede wert ist Es ging bei den Arbeiten der Peter"-Serie um fast
schon kunstkritische, textähnlich aufgebaute Auseinandersetzungen mit
anderen und eigenen Positionen. Er wählte hier und bei vielen anderen
Werkgruppen das nicht seltene Mittel der Profanierung, aber nicht um Arthur
Danto umzudrehen oder den Freunden von Duchamp-Anekdoten und Andersen-Märchen
einen Gefallen zu tun, nicht im Dienste der zu einfachen Operationen von Enthüllung
und Denunziation, sondern weil genau die Schicht oder Seite jeder Innovation im
engen Sinne, wenn nicht jeder Gelungenheit schlechthin, die mit der Bestätigung
der zu jeder Innovation (oder Idee) nötigen (falschen) Konvention gehört,
meist in den Bereich des Banalen und der wirklich häßlichen, abjekten
Probleme gedrängt wird. Daß z.B. an die Stelle gelungen vernichteter,
sozialdemokratischer Didaktizismen Biertisch-Sexismen treten, konnte in der
Kunst eben verhandelt werden, in der Wirklichkeit nicht, weil beide Ideologien
in der Wirklichkeit sich weigerten, als Gegenstände zur Verfügung zu
stehen, statt dessen aber als wirkmächtige Ideologien dazu neigen, über
die Personen zu verfügen.
Anders war es aber einem gut
aufgelegten Kippenberger durchaus möglich zum fast schon bildlich
soziologischen Gegenstand seiner Arbeit zu machen, wie z.B. jenes
monochrom-graue Richter-Bild in Verbindung mit seinem modernen und postmodernen
Behauptungs-Gepäck die ästhetisch-soziale Strategie der Wahl eben
dieses Grau ideologisch verschweigt. Kippenberger hat viele Arbeiten gerade darüber
gemacht, daß die Diskussionen um diese Ausscheidungen noch gar nicht
angefangen haben. Und nicht dadurch in Gang gesetzt werden kann, wenn man diese
Seiten/Schichten einfach nur ideologiekritisch ausleuchtet und zeigt, ohne sie
ins Verhältnis zu dem zu setzen, dessen häßliches Anderes sie
sind. Daß Kippenberger ein guter Kunstkritiker hätte werden können,
ist eine von seinen Freunden ebenso häufig gemachte Beobachtung wie die,
die zu den vielen Geschichten über seine einmalige Art des Tanzens oder die
Ähnlichkeiten seines mimischen Talents mit dem des Jack Nicholson geführt
haben.
In hoher Geschwindigkeit verstand er es, die relevanten,
Bedeutung regelnden Rahmen und Regeln einer Arbeit zu erkennen und zu ermessen
und ermitteln, wie und wo sie aus Verletzungen oder Übertreibungen der zur
Aufrechterhaltung derselben Gesten nötigen Maßnahmen Sinn und
Transzendenz unterbringen wollten. Seine immanenten Lektüren waren so verblüffend
und virtuos, wie sie oft jeden anderen (inhaltlichen, historischen, politischen
etc.) Bestimmungsgrund ausschlossen. Man hätte manche seiner Einschätzungen,
die immer nahe an Namen und Urheberschaften und deren Geschichte blieben,
biographistisch nennen können. Aber gerade seine Wiedergabe von Künstlerbiographien
tendierte viel mehr dazu, diese auf ihre wesentlichen kunstfähigen Ideen -
egal ob sie nun in Arbeiten, der Frisur oder Inneneinrichtung des oder der
Betreffenden realisiert worden sind - zu reduzieren und jedes weitere Verhalten
davon abzuleiten, als umgekehrt, die Bedeutung von Arbeiten aus der Biographie
zu erschließen. Das wirkte nur immer so, wenn das Biographische in seinen
Beschreibungen als geronnene Summe des Künstlerischen die Gestalt eines
Slogans oder den Namen einer Angewohnheit angenommen hatte. Gerade weil es so
eine entscheidende Kategorie für seine Arbeit, sein Werk und sein Denken
war, tat Kippenberger weniger Kunst Unrecht, die er etwa biographistisch verkürzt
hätte - er deckte die Logik der meisten Arbeiten auch ganz entfernter
Bereiche schnell auf -, als vielmehr Biographien, die er auf künstlerbiographisch
Relevantes verkürzte.
Von Politik verstand Kippenberger nicht so
viel. Sein Großonkel, ein in Peter Weiss Ästhetik des
Widerstands" öfters auftauchender KP-Veteran, war ihm eher gut für
desillusionierende Döntjes über den deutschen Parteikommunismus. Die
einzige Politik, die ihn interessierte, war die interne des Kunstbetriebs und
ihr unmittelbarer Bezug zu Arbeiten und Verhalten. Er legte dabei dieselben
immanenten und den Betreffenden ein nur begrenztes Kalkül zugestehenden Maßstäbe
an, die ihn als Kunstkritiker einzelner Arbeiten oft so treffsicher sein ließen
und die sich gegen ihn selbst wandten, wenn sie aus einer anderen Perspektive
eingesetzt wurden. Er wußte eine Menge von Macht, Hierarchie, Verwicklung
und Verstrickung, und sein Verdienst war, daß er in Arbeiten zeigte, daß
dies ein Teil des in jeder Idee übrig bleibenden Überwundenen in ihren
Rahmenbedingungen ist, dessen Wahrnehmung diese Idee naturgemäß zu
unterdrücken versucht. Kippenberger ließ keinen Zweifel daran
aufkommen - weder in seiner Arbeit, noch in seinem Leben -, daß ohne
Machtverhältnisse das alles nicht nur nicht produziert worden wäre,
sondern auch daß man das nicht vergessen dürfte. Doch während er
oft so zu tun schien, als wäre ein beständiges, so anarchisches
Inszenieren wie affirmatives Beschwören dieses Umstands, eine oder die Möglichkeit,
ihn - nicht nur im Sinne Foucaults - produktiv zu machen, zeigten seine Arbeiten
Wege, wie sich gerade in den von der Persistenz der falschen"
Bedingungen des Anderen und Neuen abgeworfenen Trümmern, falschen Idealen
und verhüllten Häßlichkeiten das Material finden läßt,
dieses Verhältnis zu öffnen, in die Schwebe zu bringen, wenigstens
aber benennbar und greifbar zu machen. Er hat etwas gewußt, das keine
andere künstlerische oder außerkünstlerische Position mit
solcher Dringlichkeit hat bekannt machen wollen.
Manchmal habe ich
Angst, daß sein Tod in seiner Welt zu ähnlichen Verödungen führen
wird, wie Fassbinders Tod damals in der Welt des Kinos. Anmerkungen 1) Dieses
Modell ist aber nicht nur naiv, ein guter Nachbar des Ressentiments, es ist
andererseits auch attraktiv und zwar vor allem für künstlerische
Darstellungen selbst, u.a. weil es zu Drastik und Komik einlädt und
Anschaulichkeiten nicht ausschließt. Mike Kelleys Pay for your
Pleasure" ist vielleicht eine der bekanntesten Inszenierungen des
Komplexes, der neben Kelley kaum einen anderen zeitgenössischen Künstler
so beschäftigt hat wie eben Kippenberger; in beiden Fällen aber als
Gegenstand der Arbeit, nicht als die Arbeit ersetzendes, neues
Leben-Kunst-Modell. Natürlich kann man außerdem immer Zusammenhänge
zwischen historischen Absichten, etwas durchzusetzen, und der tatsächlichen
Durchsetzung Jahre später entdecken.
Kippenberger in diesem Sinne
die Schuld" an Tiefpunkten von RTL-Drastik-Humor zu geben, wäre
aber so sinnvoll und folgerichtig, wie Beuys jeden Stuttgarter
Anthroposophen-Irrsinn oder Warhol alles, was heute mit Pop-Kultur
arbeitet" vorzuhalten. 2) Man denke etwa an das zur Rotterdam-Ausstellung
1994 erschienene Interview-Buch b" - ein Verweis auf Warhols a"
und From A to B and back again" -, das immer so behandelt wurde, als
wäre es ein journalistisches Interview und die darin Kippenberger
zuschreibbaren Äußerungen nichtkünstlerische",
ungebrochene und nicht relativierte Statements. 3)
Das altbekannte Phänomen:
Das Ende von Techno, der Tod des RocknRoll, das Vorübersein des
Poststrukturalismus etc. wird immer weitaus größer verhandelt und
gefeiert als deren jeweiliges Wirken zu Lebzeiten. Noch eine Lebendigkeit, die
sich unserem Zugriff entziehen könnte weniger! Nichts ist offenbar so schön
und ungefährlich, wie von seiner Unbeeindrucktheit zu erzählen. 4)
Das neue Lettre, Heft 36, mit seinen Illustrationen von Haralampi Oroschakoff
schenkt mir ein gutes Beispiel für die Unterschiede der Inszenierungen von
Ebenen und Rahmen zwischen Kippenberger und anderen. Auch dieser Künstler
hatte die Idee, auf Hotelbriefpapier zu arbeiten, aber er zelebriert diese Idee
ungebrochen als freche, künstlerische Eingebung, die als solche einen Wert
an sich hat, nicht als Exempel für das Elend des Konzepts des Einfalls"
wie Kippenberger, und hält sie darüber hinaus klassisch für einen
Königsweg zu einer ominösen Inhaltlichkeit. Er wählt ein
spezifisches Hotel, das bekannte Chateau Marmont in Los Angeles, und er
aquarelliert spezifisch poppige Politikonen (Leila Khaled, einen dicken
US-Bullen etc.). Künstlerische Idee samt konform verspielter Inhaltlichkeit
bleiben als Konventionen erhalten, ohne sich als solche zu erkennen zu geben.
Kippenberger demütigt dieselbe Idee durch gnadenlose Wiederholung, treibt
den so dargestellten Gegenständen wirklich den Anspruch aus, als Repräsentationen
eines Inhalts gelten zu können, verweist statt dessen nur massiv auf die
Eitelkeit so eines Unterfangens. Natürlich setzen diese immer wieder
aufgenommenen und für unterschiedliche Projekte eingesetzten
Hotel-Briefpapiere darüber hinaus einen nicht umgehbaren Rahmen, der etwas über
Lesarten und Lesbarkeiten von Kippenbergers Arbeit überhaupt aussagt.